Der Rhein brennt

aus dem Buch: "Natur- und Brandkatastrophen" erschienen im Tosa-Verlag Wien

" Den Schiffer im kleinen Schiffe ergreift es mit wildem Weh; er schaut nicht die Felsenriffe, er schaut nur hinauf in die Höh. Ich glaube, die Wellen verschlingen am Ende Schiffer und Kahn; und das hat mit ihrem Singen die Lore-Ley getan", So besang Heinrich Heine einst die wilde Romantik des Rheins. Viel ist davon nicht übrig geblieben: Ruhe und Romantik sind Schmutz und Lärm gewichen, Fortschritt und Industrialisierung fordern ihren Tribut.

"Rhein in Flammen": nach einer Haverie brennen vor Emmerich elf Schiffe und verwandeln den Fluss in eine Feuerhölle. Die Enge der Fahrrinne und die Dichte des Schiffverkehrs waren einer dänischen Fähre zum Verhängnis geworden. (Bildmaterial: Rheinmuseum/Stadtarchiv Emmerich)

Bei Emmerich an der niederländischen Grenze fließt der Rhein ruhig und beschaulich. Die Emmericher Reede gilt auf der stark ausgelasteten und verkehrsreichen Wasserstraße nach Rotterdam als Nadelöhr. Hier liegen viele Schiffe vor Anker und warten auf ihre Zollabfertigung. Durch die Enge der Fahrrinne, die Dichte des Schiffverkehrs und die hohen Annäherungsgeschwindigkeiten besteht an dieser Stelle erhöhte Gefahr für Schiffskollisionen.

Genau hier ereignete sich am 7. Oktober 1960 eine der bislang größten Schiffskatastrophen in der deutschen Binnenschifffahrt der Nachkriegszeit. Die dänische Hochseefähre "Tina Scarlett" ist auf Überführungsfahrt nach Rotterdam. Ursprünglich in einer hamburger Werft konstruiert, kommt sie aus Köln, wo sie ihren letzten Schliff erhalten hat, bevor sie entgültig in See stechen soll. Der Schiffführer - ein Rheinlotse - wird eigens für diese Überführung eingestellt. Zwei Schlepper begleiten das Schiff. Sie ziehen es jedoch entgegen den Auflagen im Fahrterlaubnisschein nicht den Fluss hinab, sondern weisen dem Kapitän den Weg durch das Fahrwasser.
Die Fähre kurz vor der Jungfernfahrt
 
Noch ahnt niemand von der Katastrophe welche die "Tina Scarlett" erwartet.

Das 1800 Tonnen schwere Schiff fährt also unter eigenem Maschinenantrieb, als plötzlich die Ruderanlage ausfällt. Manövrierunfähig treibt es unaufhaltsam flussabwärts, geradewegs auf die Emmericher Reede mit ihren vielen vor Anker liegenden Schiffen zu. Der Crash ist unausweichlich: Die "Tina Scarlett" rammt ein belgisches Tankschiff mit 723 Tonnen Leichtbenzin an Bord. Die explosive Ladung tritt aus dem Schiffsrumpf der "Diamant" aus, entzündet sich binnen Sekunden und verwandelt die Wasseroberfläche des Rheins in ein Flammenmeer. Ineinander verkeilt treiben die Haveristen brennend weiter und setzen auf diese Weise weitere neun Schiffe in Brand. Bereits fünf Minuten nach der Kollision wird Katastrophenalarm ausgelöst. Die Wasserschutzpolizei und die Feuerwehr aus Emmerich und Umgebung versuchen, mit ihren Löschbooten an die Fähre heranzukommen, um die dort eingeschlossenen Menschen zu retten. Doch gegen das Flammenmeer sind sie völlig machtlos.

An Bord der "Tina Scarlett" befinden sich zu diesem Zeitpunkt 24 Passagiere, die in Todesangst ihrer Rettung harren. Weil die Feuersbrunst für die Experten nicht einzudämmen ist, fordern sie die Menschen über Lautsprecher auf, von Bord ins Wasser zu springen. Dort sollen sie von den Rettungsmannschaften geborgen werden. Nur die Angst, bei lebendigem Leib verbrennen zu müssen, tribt die Unglücklichen dazu, aus 13 Metern Höhe in den brennenden Rhein zu springen. Acht Schwer- und 14 Leichtverletzte werden mit Brandverletzungen in die umliegenden Krankenhäuser eingeliefert. Zwei Menschen können nur noch tot aus den Flammen geborgen werden.

In Emmerich selbst befürchtet man, daß das Feuer auf das dicht bebaute Ufer übergreift. Beißende Rauchschwaden überziehen die Stadt. Panikartig verlassen die Anwohner der Uferpromenade ihre Häuser. Ein nahegelegenes Kaufhaus wird prophylaktisch evakuiert. Glücklicherweise dreht in letzter Sekunde der Wind, so daß die Gefahr schon bald gebannt ist.

Bilanz der Katastrophe: Elf Schiffe sind schwer beschädigt, zwei Tanker sinken. Der Sachschaden beläuft sich insgesamt auf rund zehn Millionen Mark. Um weiteren Unfällen vorzubeugen, wird der Rhein am Nachmittag für die Schifffahrt gesperrt. Zwei Tage lang stauen sich rheinabwärts Dutzende von Tank- und Lastschiffen.

Bei der Suche nach dem Auslöser für die Katastrophe stellt sich eraus, daß ein nicht vorschriftmäßig gesicherter Kupplungshebel im Rudersystem das Ruderversagen der "Tina Scarlett" verursacht hat. Hauptverantwortlich für die mangelnden Sicherheitskontrollen ist die Hansa-Werft in Köln. Maschinenanlagen, Rudereinrichtungen, Anker und Signalanlagen sind sowohl von der Werft als auch vom Schiffsführer nur oberflächlich überprüft worden. Dennoch kann die Werft im späteren Prozess, den der dänische Reeder anstrengt, nicht haftbar gemacht werden. Sie hat zu diesem Zeitpunkt berets Konkurs angemeldet.

Empfindlich reagiert das Schifffahrts- und Schifffahrtsobergericht auf den Vorwurf des Reeders, die deutschen Behörden seien teilweise mitverantwortlich für das Unglück zu machen. Sie hätten für die Überführung des Hochseeschiffes eine Sondergenehmigung ausstellen müssen, die das Schiff zum reinen Schleppgut auf einem Binnengewässer erklärt hätte. Diese Formalia werden jedoch juristisch nicht weiter geprüft, die Klage wird abgewiesen und die Revision bleibt erfolglos. Der Reeder gehr leer aus.

 

Wasserstraße Rhein

Der Rhein ist ab Rheinfelden für Schiffe bis 2000 Tonnen, ab Duisburg für Schiffe bis 3 500 Tonnen befahrbar. Er gilt als Hauptachse eines ausgedehnten Wasserstraßennetzes im westlichen Mitteleuropa. 1989 wurden auf der 622 Kilometer langen Strecke zwischen Rheinfelden und der niederlandischen Grenze 200,7 Millionen Tonnen Güter befördert. Die ebenfalls schiffbaren Nebenflüsse Neckar, Main und Mosel sowie ein ausgedehntes Kanalsystem ermöglichen Schifftransporte quer durch die Bundesrepublik, Frankreich, Holland und Belgien. Durch den Rhein-Herne- sowie den Weser-Dattel-Kanal ist der Rhein mit der Nord- und mit der Ostsee verbunden, darüber hinaus mit Elbe und Oder.

Seine vielen Mündungsarme sind wesentlicher Bestandteil des weitverzweigten niederländischen und belgischen Wasserstraßennetzes. Einer der wichtigsten Binnenschifffahrtskanäle in diesem Bereich ist der Amsterdam-Rhein-Kanal. Der Rhein-Main-Donau-Kanal verbindet auf 3500 Kilometern insgesamt 13 Staaten von der Nordsee bis zum schwarzen Meer miteinander.

Unter den Rheinhäfen hält der Rhein-Ruhr-Hafen Duisburg mit der weltgrößten Binnenhafenanlage den ersten Rang unter den Umschlagplätzen Deutschlands. Weitere wichtige Rheinhäfen im Binnenland sind unter anderem Basel, Strassburg, Ludwigshafen, Köln und Düsseldorf.

Daß die dänische Hochseefähre "Tina Scarlett" ihre Jungfernfahrt nicht überleben wird, ahnt niemand, als sie ihre Reise den Rhein hinunter nach Rotterdam antritt.